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Irmgard Griss: Wir leben in einer "Ein-Minuten-Demokratie"

Irmgard Griss
© Bence Jünnemann | Irmgard Griss tritt für die NEOS an

Irmgard Griss tritt anlässlich der Nationalratswahl im Herbst für die NEOS an. Welche politischen Positionen sie vertritt, welche Pläne sie für Österreich hat und wie sie über ihren bisherigen Werdegang denkt, erfahren Sie im Interview.

 

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Die Geheimwaffe der NEOS für die kommende Nationalratswahl heißt Irmargd Griss. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin kandidiert auf Platz 2 der Bundesliste der NEOS und diese haben anlässlich dazu sogar ihren Listennamen unbenannt in: NEOS - Das Neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung.

Wir stellen den Spitzenkandidaten vor den Nationalratswahlen ausgewählte Fragen zu deren Laufbahn, und ihren politischen Herzensangelegenheiten und Visionen. Jeder bekommt die selben Fragen und kann selbst entscheiden, welches Thema er anspricht. So bekommen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, einen Überblick und Vergleich.

Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung, diese können Sie am Ende des Artikels posten.

Interview Irmgard Griss

stadt-wien.at: Was muss sich in Österreich ändern, um den Wohlstand und die Lebensqualität für so viele Menschen wie möglich (optimal aller Menschen) zu sichern und auszubauen?

Ein ganz wesentlicher Meilenstein für eine bessere Zukunft sind ein leistungsstarkes Bildungssystem und faire Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Bildung ist der Schlüssel zum Wohlstand und zur Lebensqualität. Nur wenn die Menschen die Chance auf gute Aus- und Weiterbildung haben, können sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen, um es eigenverantwortlich nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Die Wirtschaft braucht Rahmenbedingungen, die sie fördern und nicht behindern. Unnötige bürokratische Hemmnisse müssen beseitigt werden. Bei jeder Vorschrift muss gefragt werden, was sie bewirkt und ob sie tatsächlich notwendig ist.

Dazu brauchen wir Politikerinnen und Politiker, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Die Verantwortung muss gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen werden und nicht nur gegenüber einer bestimmten Gruppe.

stadt-wien.at: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Teammitglieder aus?
Mir ist es wichtig, dass das, was zu tun ist, als eigene Aufgabe angenommen wird. Nur wer sich mit seiner Aufgabe identifiziert, wird bereit sein, sich ihr mit voller Kraft zu widmen.

stadt-wien.at: Nennen Sie Attribute, die Sie an Ihren Mitbewerbern bewundern, bzw. Ihnen positiv aufgefallen sind.
Wer politisch tätig ist, braucht eine dicke Haut. Sich trotz oft weit überzogener oder sogar gänzlich unberechtigter Kritik nicht entmutigen zu lassen, ist eine tolle Leistung.

stadt-wien.at: Welche Errungenschaften in Ihrer bisherigen Laufbahn erfüllen Sie bereits heute mit großer Zufriedenheit?
Wenn eine Herausforderung bewältigt ist, folgt meist gleich die nächste. Zeit, sich zufrieden zurückzulehnen, bleibt daher eigentlich gar nicht.

stadt-wien.at: Was würden Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn retrospektiv anders machen?
Darüber denke ich gar nicht nach. Mich beschäftigt, was ich jetzt und in Zukunft besser machen kann.

stadt-wien.at: Angenommen Sie hätten die absolute Mehrheit und alleinige Entscheidungsgewalt, was würden Sie zuallererst und grundlegend ändern?
Die Art, wie Politik gemacht wird: Nicht versuchen, sich auf Kosten der politischen Mitbewerber zu profilieren, sondern mit ihnen gemeinsam wichtige Vorhaben umsetzen. Denn um die großen Herausforderungen unserer Zeit, wie Migration, Digitalisierung und Klimawandel, zu bewältigen, müssen alle zusammenwirken. Nur so kann zum Beispiel ein Bildungssystem geschaffen werden, in dem Bildung nicht vererbt wird, oder ein Wirtschaftssystem, das nicht Unternehmer gegen Arbeitnehmer ausspielt.

stadt-wien.at: Wie stehen Sie zur direkten Demokratie und würden Sie einer direkten Demokratie in Österreich nach Schweizer Modell zustimmen?
Durch direkte Demokratie können sich Bürgerinnen und Bürger stärker einbringen als in einer „Ein-Minuten-Demokratie“, in der die Mitbestimmung auf die Stimmabgabe am Wahltag beschränkt ist. Mitbestimmung bedeutet aber auch Mitverantwortung. Mitverantwortung beginnt bei der Bereitschaft, sich zu informieren. Die Schweiz lebt uns vor, wie Mitbestimmung verantwortungsvoll wahrgenommen wird, und kann für Österreich ein Vorbild sein.

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stadt-wien.at: Sind Sie bereit, Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig schmerzhaft sind und Ihnen Wählergunst kostet, langfristig jedoch notwendige Reformen darstellen?
Absolut. Ich kandidiere, um etwas zu bewegen. Wiedergewählt zu werden ist eine schönes Bestätigung, aber nicht mein erstes Ziel.

stadt-wien.at: Mit welcher berühmten Persönlichkeit (lebend oder auch bereits verstorben) würden Sie gerne einen Abend verbringen und warum?
Mit Simone de Beauvoir. Ihr Buch „Le deuxième sexe“ (Das andere Geschlecht) war für mich eine Art Erweckungserlebnis. Mich würde interessieren, wie sie die Stellung der Frauen in unserer Gesellschaft sieht und wozu sie Frauen heute raten würde.

Neben Lunacek ist Irmgard Griss eine von beiden Frauen, die im kommenden Wahlkampf eine Hauptrolle spielen. Griss, die nur zwei Tage vor der Nationalratswahl ihren 71. Geburtstag feiert, ist in ihrem Leben schon in viele Rollen geschlüpft hat sowohl als Juristin, als auch als Politikerin und Fernsehstar Erfahrung gesammelt. Insbesondere das zweitgenannte scheint einen besonderen Reiz auf sie auszuüben, denn nach ihrer Kandidatur für die Bundespräsidentschaftswahl 2016, kandidiert sie nun auf Platz 2 der Bundesliste der NEOS.

Der steile Lebenslauf der Irmgard Griss

Wer an Irmgard Griss denkt, der hat wohl ihr undurchsichtiges Lächeln vor seinem inneren Auge:  Pokerface Griss hat den Ruf erworben, übermäßig sachlich und eher emotionslos zu agieren. Damit unterscheidet sie sich drastisch von manchen ihrer Mitbewerber, wie etwa HC Strache oder Christian Kern, die bewusst mit emotional aufgeladenen Mitteln in den Wahlkampf starten. Irmgard Griss scheint tatsächlich eine Art Antipolitikerin zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich umso mehr, wenn man bedenkt, dass ein früher Berufswunsch der Steirerin Lehrerin war, sie diesen jedoch letztendlich aufgeben musste. Der Grund: "stimmliche Defizite".

Doch Griss legte dennoch eine beispiellose Karriere hin: Nach ihrer Promotion zur Dr. iur studiert sie postgradual an der Havard Law School in den USA. 1993 fängt sie an, als Richterin zu arbeiten, neun Jahre später wird sie Richterin im Obersten Gerichtshof (OGH) und von 2007 bis 2011 schließlich Präsidentin desselben.

Hypo: Griss als Leiterin der Untersuchungskommission

In der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Irmgard Griss als Leiterin der Untersuchungskommission zur Hypo Alpe Adria zu der sie 2014 gewählt wurde. In diesem Untersuchungsausschuss ging es darum, herauszufinden, ob die 2009 durchgeführte Notverstaatlichung der Bank Hypo Alpe Adria tatsächlich notwendig war, wie es die Verantwortlichen (u.a. der Finanzminister Josef Pröll) weismachen wollten. Die Hypo Alpe Adria war bereits in der Vergangenheit in Korruptionsfälle verwickelt. 2007 wurde sie vom Land Kärnten an die BayernLB verkauft. Diese Fusion ging jedoch schief: die Bank geriet in finanzielle Probleme und stand kurz vor der Insolvenz. Nach Verhandlungen mit den Bayern erklärte sich Österreich dazu bereit, ein Verstaatlichungsverfahren einzuleiten, nach dem die Republik Österreich alleinige Eigentümerin der bankrotten Bank wurde. Durch die Verstaatlichung gingen die Schulden nun auf Österreich über. Die Leitung der vom VGh einberufenen Untersuchungskommission war eine undankbare Aufgabe: Im Gegensatz zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss sind die Zeugen nicht dazu verpflichtet, vor der Kommission auszusagen, sondern können ihre Aussage freiwillig machen. Nach Recherchen, die sieben Monate andauerten, legte Griss schließlich einen Abschlussbericht vor, aus dem eindeutig hervorging, dass die Verstaatlichung keinesfalls notwendig gewesen wäre und es Alternativen gegeben hätte.

2014 zog Irmgard Griss jedoch Kritik auf sich, nachdem bekannt wurde, dass sie die Vernichtung der persönlichen Gesprächsprotokolle der Einvernahmen zum Untersuchungsauschuss angeordnet hatte. Die Griss-Komission erklärte dieses damit, dass die Ergebnisse in den Endbericht miteinbezogen und nachvollziehbar seien. Mehr dazu auf orf.at

Bundespräsidentenwahl: Lady in Gray

2016 war sie die erste offizielle Kandidatin der Wahl des Bundespräsidenten. Stand sie in dieser Position lange Zeit alleine auf weiter Flur, so gewann sie nach und nach immer mehr Mitstreiter: Letzendlich bestritt sie mit Alexander von der Bellen, Norbert Hofer, Andreas Khol, Rudolf Hundstorfer sowie Adabei Richard Lugner die wohl turbulenteste Bundespräsidentschaftswahl, die die Nation je gesehen hatte.  Wurden diesmal, angesichts der tagespolitischen Entwicklungen wie etwa die Flüchtlingskrise, stärker denn je auf emotionale Themen gesetzt, gab sich die unabhängige Griss umso sachlicher und bewusst antipopulistisch; das hatte nicht nur Vorteile: während selbst starke Kritiker der FPÖ Norbert Hofer einen gewissen Charme nicht absprechen konnten, wurde Irmgard Griss, oft vorgeworfen, zu steif und humorlos zu sein. So geriet vor allem ihre Teilnahme an Hanno Setteles Format "Wahlfahrt" bei dem die Kandidaten von ORF-Reporter Settele quer durch Österreich chauffiert wurden zu einem kleinen Fiasko: Die Sendung bot den Kandidaten eigentlich die ideale Plattform, sich kumpelhaft-menschelnd zu geben. Im schwarzen Mercedes Baujahr 1978 inklusive Wackeldackel auf der Rückbank konnte man der sonst so souveränen Irmgard Griss zeitweise anmerken, dass sie sich fühlte als wäre sie im falschen Film.

Beim ersten Wahlgang erklomm Irmgard Griss Platz 3 mit fast 20% der Stimmen. Für eine politische Newcomerin, die zudem keiner der großen Parteien angehörte war das durchaus beachtlich.

Nach geschlagener Wahl zeigte die Frau mit der Vorliebe für die Farbe Grau, dass auch sie durchaus für Überraschungen gut ist: In der Fernsehshow "Im Namen des Volkes" von Puls 4 trat sie für einige Folgen als TV-Richterin auf.

Doch im Zuge der Bundespräsidentenwahl hat Irmgard Griss wohl Blut geleckt: Anfang Juli wird bekannt gegeben, dass sie für die NEOS an prominenter Stelle - Platz 2 der Bundesliste - kandidiert. Dabei ist sie auch offen, ein Ministeramt zu übernehmen - falls die NEOS es tatsächlich in die nächste Regierung schaffen sollten.

Irmgard Griss ist zwar nicht direkt eine Spitzenkandidatin, eine Schlüsselrolle kommt ihr dennoch zu - möglicherweise können die NEOS durch ihre Mithilfe an Prozentpunkten zulegen. Ob der Plan tatsächlich aufgeht, wird sich am 15. Oktober weisen.

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