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Ukraine Krieg: Türkei kritisiert gewisse NATO-Länder
Türkei will sich für diplomatische und friedliche Lösung einsetzen
"Der Mechanismus hat bisher reibungslos funktioniert. Dies ermutigt uns, umfassendere Initiativen zu verfolgen", so Altun zum Getreideabkommen, mit dem die türkische Regierung nach seinen Worten eine weltweite Nahrungsmittelkrise abgewendet habe. Zur Ukraine-Politik Ankaras hält der seit rund vier Jahren als Chef-Kommunikator des Präsidenten amtierende Altun unter Verwendung der neuen, offiziellen internationalen Bezeichnung für die Türkei, Türkiye, fest: "Die zivilen Unruhen in unseren Nachbarländern Irak und Syrien haben Türkiye und die gesamte Region schwer getroffen. Wir wollen nicht, dass eine ähnliche Situation im Schwarzen Meer eintritt. Daher haben wir unsere Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, uns für eine diplomatische und friedliche Lösung zwischen der Ukraine und Russland einzusetzen, zu denen wir enge Beziehungen unterhalten." Ankara sei "der Ansicht, dass jede Infragestellung der Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine der Region und der Welt schaden würde", betont der 45-Jährige zugleich.
Ohne Namen zu nennen, übt Altun diesbezüglich auch Kritik an Verbündeten in der NATO: "Leider gibt es einige Akteure, die glauben, dass es in ihrem Interesse ist, den Krieg in der Ukraine so lange wie möglich zu verlängern. Dazu gehören auch einige unserer NATO-Verbündeten. Wir lehnen es ab, dass das ukrainische Volk den Preis dafür zahlen soll, dass diese Staaten ihre geopolitischen Ziele erreichen. Im Gegenteil, wir glauben, dass ein gerechter Frieden die beste Lösung ist." Wie ein solcher Frieden aussehen sollte, lässt Altun offen. Innerhalb der NATO waren in den vergangenen Jahren insbesondere die Beziehungen der Türkei zu den USA immer wieder angespannt. Gründe dafür waren vor allem die Spannungen zwischen der Türkei und dem NATO-Nachbarn Griechenland sowie der Kauf eines russisches Raketenabwehrsystems durch die Türkei.
Was den geplanten NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens betrifft und die türkischen Bedingungen an Helsinki und Stockholm, Angehörige militanter Organisationen künftig auszuliefern, will Ankara Taten sehen. In einem beim NATO-Gipfel Anfang Juli in Madrid unterzeichneten trilateralen Abkommen waren Finnland und Schweden auf die türkischen Forderungen eingegangen.
Altun dazu: "Dementsprechend sind sie einige Verpflichtungen hinsichtlich der Auslieferung von Terroristen eingegangen. Wir prüfen nun, ob diese Versprechen eingehalten werden. Unser einziges Ziel ist es, herauszufinden, ob diese beiden Staaten, denen wir versprechen, sie im Falle eines Angriffs zu schützen, wenn sie der NATO beitreten, es mit der Sicherheit der Türkiye ernst meinen." Die von der Türkei verlangte Auslieferung betrifft Angehörige der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, aber auch Kämpfer der syrischen Kurdenmiliz YPG und Mitglieder der GülenBewegung, die Ankara für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. YPG und Gülen-Bewegung stehen nicht auf der Terrorliste von EU und USA.
Türkei will EU-Vollmitgliedschaft
Obwohl die 2005 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seit Jahren auf Eis liegen, weil Brüssel unter Erdogan inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sieht, hält die türkische Regierung laut Erdogans Kommunikationsdirektor an einer Vollmitgliedschaft fest: Diese sei "ein strategisches Ziel für Türkiye". "In dieser Hinsicht kann die gewünschte Beziehung der Türkiye zur EU nur eine Vollmitgliedschaft sein. Natürlich wird Türkiye von der EU-Mitgliedschaft profitieren, ebenso wie die EU von der Mitgliedschaft von Türkiye. Wenn die EU nämlich eine wirksame Rolle auf der internationalen Bühne spielen will, muss sie Türkiye als Mitglied aufnehmen. Die "Entwicklung der Welt" bringe Türkiye und die EU einander näher. "Bei diesem Tempo wäre es nicht verwunderlich, wenn die Verhandlungen wieder an Fahrt gewinnen."
Erdogan will Politik fortsetzen
Bei einem Wahlsieg im kommenden Jahr will der wiederkandidierende Erdogan laut Altun seine Politik fortsetzen. Was Erdogan im Fall einer Niederlage tun wolle, dazu äußerte sich der studierte Soziologe und Medienwissenschafter nicht. Dass der langjährige Staatschef der seit dem Vorjahr schwelenden Wirtschaftskrise und der hohen Inflation letztendlich beikommen wird, davon ist Altun überzeugt: "Es besteht kein Zweifel daran, dass Türkiye die derzeitigen Probleme unter der Führung des Präsidenten Recep Tayyip Erdoan überwinden wird."
Beziehung Türkei - Österreich wird als konstruktiv bewertet
Zu einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich bemerkte Altun gegenüber der APA: "Ich glaube, dass auch die Veränderungen in Österreich zu diesem Aufweichungsprozess beigetragen haben. Ich möchte auch zum Ausdruck bringen, dass Herr (Bundeskanzler Karl) Nehammer in dieser Hinsicht eine sehr konstruktive Rolle übernommen hat. Ich hoffe, dass unsere Beziehungen von nun an noch intensiver sein werden." In den vergangenen Jahren war das Verhältnis vor allem unter Nehammers ÖVP-Parteikollegen Sebastian Kurz als Kanzler eher angespannt. Wien kritisierte Demokratie- und Rechtsstaatsabbau unter Erdogan, seine Einflussnahme auf die türkische Diaspora in Österreich sowie vermeintliche Versuche, die EU mit Migranten zu erpressen.
Fall Güngör
Altun äußerte sich in dem schriftlich geführten Interview auch zum "Fall Güngör". Gegen den in Österreich lebenden, deutschen Soziologen kurdischer Herkunft Kenan Güngör soll es nach eigenen Angaben geheime türkische Anklagen und einen Haftbefehl geben bzw. gegeben haben. Für Altun sind das "Behauptungen" und "unbegründete Anschuldigungen". Nach jüngsten Angaben Güngörs war "auf einmal" die Anklage wegen Beleidigung des Präsidenten "nicht mehr auffindbar". Wegen fehlender Akteneinsicht könne er aber auch nicht sagen, ob die Anklage fallen gelassen wurde oder ob sie an eine andere Staatsanwaltschaft weitergegeben wurde, so Güngör. Weiterhin bestehe eine Anzeige wegen Unterstützung von Terrorismus gegen ihn. Eine Verurteilung könne fünf bis zehn Jahre Haft bedeuten.
Allgemein angesprochen auf die Menschenrechtslage in der Türkei - die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock etwa hatte bei einem Besuch des Landes im Juli u. a. die Inhaftierung des Oppositionellen Osman Kavala kritisiert - meint Altun lediglich: "Über Türkiye gibt es eine gravierende Desinformation, insbesondere in Europa."
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