Soziales & Bürokratie
So endet der K(r)ampf der Kulturen: Dieses Bild sagt mehr als 1000 Pixel
2017 startete die Internetplattform Reddit ein Projekt namens Place. Dabei handelte es sich um ein Kollektivprojekt, bei dem User aus aller Welt in drei Tagen an einem Kunstwerk arbeiteten. Nach seiner Vollendung wurde Place von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts analysiert, wobei einige interessante Schlüsse zur Identitätsfindung von Menschen und der Koexistenz verschiedener Kulturen gezogen wurden.
Internetprojekt Place als gemeinschaftliches Kunstprojekt
An einem Osterwochenende 2017 stand es Usern frei, eine Fläche von 1000 mal 1000 Pixeln zu befüllen. Ein einzelner Teilnehmer konnte dabei alle fünf Minuten einen Pixel setzen. Am Projekt beteiligten sich mehr als eine Million Menschen. Als Ergebnis entstand eine Collage, die unter anderen aus künstlerischen und popkulturellen Referenzen besteht. Besonders auffällig sind jedoch die vielen Nationalflaggen. Insgesamt 172 Stunden hatte man Zeit, sich an Place zu beteiligen. Videos dokumentieren zudem die Entstehung des Bildes, wobei deutlich wird, wie auch immer wieder Störenfriede versuchten, das Bild zu zerstören, dabei jedoch erfolglos blieben.
Max-Plank-Institut: Projekt als Mikrokosmos der verschiedenen Kulturen
Place zog auch das Interesse der Wissenschaft auf sich: Thomas Müller und James Winter, ihres Zeichens Mitarbeiter des Instituts für Menschheitsgeschichte am Max-Planck-Institut in Jena unterzogen das Projekt einer ausführlichen Analyse. Dabei kamen sie zur Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit der User eine Art Mikrokosmos über das Zusammenleben der Menschen bzw. der Kulturen darstellt: So zeigte sich etwa das Phänomen, dass sich mehrere User zu Gruppen zusammenschlossen und sich absprachen, um so mehr Einfluss nehmen zu können und gemeinschaftlich Bilder zu platzieren. Videos, die die Entstehung des Bildes im Zeitraffer darstellen zeigen zudem, wie sich die Arbeit der User ändert, je weiter die Zeit voranschreitet und der freie Platz immer weniger wird. Versuchen zu Beginn die jeweiligen User noch, andere Bilder zu verdrängen und zu überschreiben, so zeigt sich, dass die Kooperation und die Sorgfalt steigt, je weniger Platz zur Verfügung steht und die User sich mehr koordinieren müssen. Besonders auffällig war vor allem, dass sich viele Künstlergruppen dazu entschieden, trotzig Nationalsymbole zu zeigen. Dies sei aber wenig überraschend, da sich viele nationale Sub-Reddits zusammenschlossen, da die nationale Herkunft ein Teil ihrer Identität ist und außerdem Flaggen einfach zu zeichen sind.
Die Ergebnisse bekräftigen die Sichtweise, dass kulturelle Veränderung einer Logik folgt, die biologischer Anpassung ähnelt. So wie die Natur kann auch die Kultur grausam sein. "Erfolgreiche Individuen sind gut darin, ihre Territorien zu verteidigen, aber Kooperation ist letztendlich der Schlüssel zum Erfolg für ein stabiles Ökosystem" meint Autor Thomas Müller.
Suche nach Identität auch an Wiener Schulen
Die Sehnsucht nach Identität und Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfniss von Menschen. Betrifft dies nicht auch die Kinder in jenen Brennpunktschulen, deren Verhältnisse im neu erschienen und rege diskutierten Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer" von einer Wiener Lehrerin beklagt wird?
Susanne Wiesinger, Lehrerin an einer Neuen Mittelschule schildert Zustände, die alarmierend sind: die Mehrheit der Schüler an Neuen Mittelschulen in Wien und das lässt sich auf alle österreichischen Ballungszentren umlegen, habe Migrationshintergrund, größtenteils aus dem islamischen Raum. Dabei würden vor allem die Burschen fundamentalistische Tendenzen an den Tag legen. So hätten Wiesingers Schüler gefeiert, als im Jänner 2015 Redakteure vom Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris von Terroristen getötet wurden. Wiesinger schreibt in ihrem Buch, dass der Schulalltag von den Geboten und Verboten der Religion bestimmt werde. Hier bestimmt die Religion und in weiterer Folge die nationale Herkunft die Identität dieser Kinder in Österreich. Wobei die Kinder nachahmen, was ihnen im familiären Umfeld vorgelebt und erzählt wird! Somit sollte sich der Fokus der Diskussion auf das familiäre Umfeld der Kinder beziehen, wovon dieser Kulturkampf letztendlich ausgeht und genährt wird.
Bildungspolitisches Versagen
In ihren Schilderungen tritt auch ein bereits lange bekanntes und grundsätzliches Problem zutage: schon länger zeigt sich das Phänomen, dass immer mehr Eltern aus bildungsnahen Schichten ihre Kinder an Privatschulen anmelden und öffentliche Schulen meiden. Jedes 5. Kind in Wien besucht bereits eine Privatschule. Die soziale Durchmischung wird geschwächt und es zeigt sich eine zunehmende Ghettoisierung: Schulklassen in der alle Kinder Migrationshintergrund haben sind längst keine Seltenheit mehr. Die fehlenden Deutschkenntnisse tragen zusätzlich ihren Teil zum Problem bei. Ein Lösungsanatz, der von vielen Fachleuten seit Jahren gefordert wird, nur von politischer Seite nie umgesetzt wurde ist die Gesamtschule bis 14 Jahren und bestmöglich in einer ganztägigen Betreuung. Nun abgesehen von den bildungspolitischen Maßnahmen bleibt für die junge Generation noch immer die Findung einer neuen Identität.
Fazit
Beim Kunstprojekt Place hat man gesehen, wie die jeweiligen Gruppen von anderen beeinflußt wurden und miteinander kooperieren mussten, um ihren Platz an der Fläche zu finden und am Ende ein collagenartiges Kunstwerk entsteht, das trotzdem ein großes Ganzes bildet. Die kulturelle Veränderung erfolgt einer gewissen Logik, wie die Forscher vom Max Planck Institut herausgefunden haben. Es stellt sich nun die Frage, ob wir es auch ohne Kampf schaffen und gleich zur Kollaboration übergehen. Alleine aufgrund der vorweggenommenen Erkenntnis, das wir alle! ein Bedürfnis haben nach Identität. Ach ja, man darf doch etwas träumen.
Weiterführende Links
Studie: Compression in cultural evolution: Homogeneity and structure in the emergence and evolution of a large-scale online collaborative art project, Thomas F. Müller, James Winters
PLOS ONE, DOI: 10.1371/journal.pone.0202019
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena: Eine Million Künstler können in der Kulturrevolution nicht irren
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