Umwelt
Die große Donauregulierung
Ständige Schäden durch Hochwasser führen zu neuer Regulierung
Die schweren Schäden durch Hochwasser im immer dichter verbauten Gebiet, die Problematik des Baues von Eisenbahn- und Straßenbrücken und die Erfordernisse der aufkommenden Dampfschifffahrt machten die Forderung nach der Regulierung der Donau immer dringlicher, die technische Entwicklung machte sie möglich.
1850 wurde eine Donau-Regulierungs-Kommission berufen, die verschiedene Projekte ausarbeitete. Alle sahen vor, das Kaiserwasser wieder zum Hauptstrom bett zu machen, daneben waren ein, zwei oder drei Nebenarme vorgesehen.
Schwieriger Start für das neue Strombett
1862 appellierte der Gemeinderat unter dem Eindruck einer schweren Hochwasserkatastrophe an die Regierung, endlich etwas zu tun. 1864 bildete der Gemeinde rat eine eigene Kommission unter dem Vorsitz des späteren Bürgermeisters Dr. Cajetan Felder. 1866 gelang es, diese Kommission mit Vertretern der Regierung, des Landes Niederösterreich, der Handelskammer, der DDSG und der Nordbahn zu einer zweiten Donau-Regulierungskommission zu erweitern. Der Krieg gegen Preußen bedeutete eine weitere Verzögerung, doch 1867 konnte ernsthaft mit den Vorarbeiten begonnen werden.
Man einigte sich schließlich auf ein Projekt, das die Schaffung eines neuen Strombettes zwischen Kaiserwasser und Floridsdorfer Arm vorsah. Hauptvorteil dieses Projektes war, dass alle Arbeiten, einschließlich der Brückenbauten, auf trockenem Land erfolgen konnten. Am 12. September 1868 konnte die Genehmigung von Kaiser Franz Joseph für dieses Projekt erreicht werden. Es wurde beschlossen, dass die auf 24,6 Millionen Gulden veranschlagten Gesamt kosten zu je einem Drittel vom Staat, vom Land Niederösterreich und von der Stadt Wien getragen werden sollten.
Bauarbeiten in 2 Abschnitte geteilt
Am 14. Mai 1870 führte der Kaiser am Ende der Schwimmschulallee, der heutigen Lassallestraße, den ersten Spatenstich durch. Es wurden ein 284,5 Meter breites Strombett und am linken Ufer ein 474,5 Meter breites Überschwemmungsgebiet gegraben. Es gab zwei Bauabschnitte. Der erste führte vom sogenannten »Roller«, einem natürlichen Damm im Bereich der jetzigen Nordbrücke, der das Kaiserwasser vom Floridsdorfer Arm trennte, bis zur Reichsbrücke. Dort wurde das Erdreich als zweiter Damm belassen. Nur im ersten Bauabschnitt wurde das Flussbett in voller Breite ausgegraben, im zweiten Teil wurde nur eine Künette am rechten Ufer gegraben, die übrige Arbeit überließ man der Kraft der Donau.
Arbeiten in schlechten Konditionen
Die Arbeiten wurden der französischen Firma Castor, Hersent und Couvreux übertragen, die nicht nur über einschlägige Erfahrungen, vor allem vom Bau des Suezkanals, verfügte, sondern auch über moderne große Baggermaschinen. Trotzdem wurde ein erheblicher Teil der Arbeiten händisch durchgeführt. Fast tausend Arbeiter waren damit beschäftigt. Es waren vor allem Tschechen, Slowaken, Polen und Italiener, die bereit waren, um minimale Löhne zu arbeiten. Sie hausten anfangs in Erdhütten, erst bei Winterbeginn wurden primitive Baracken aufgestellt. Es gab keine Heizung und keine sanitären Einrichtungen. Mehrmals kam es deshalb unter den Arbeitern zu Typhusepidemien, die zahlreiche Todesopfer forderten.
5 neue Brücken entstehen
Das ausgehobene Erdreich wurde teils für den Bau des Marchfelddammes als Abschluss des Überschwemmungsgebietes verwendet, teils zur Aufschüttung des Kaiserwassers. Zugleich mit der Aushebung des neuen Strombettes wurden fünf Brücken gebaut - die Nordwestbahnbrücke (heute Nordbrücke), die Floridsdorfer Brücke, die Nordbahnbrücke, die Reichsbrücke und die Stadlauer Brücke.
Gegen Ende 1875 waren die Arbeiten im wesentlichen beendet. Mit der völligen Fertigstellung wartete man, bis die Gefahr eines winterlichen Hochwassers und einer Eisstoßbildung vorbei war.
Bericht durch Augenzeugen
Der Geologe Prof. Eduard Sueß, der maßgeblich an der Planung und Durchführung der Donauregulierung beteiligt war, berichtet in seinen »Erinnerungen« über das weitere Geschehen:
»Etwa um die Zeit der Kaiserreise nach Venedig, anfangs April 1875, war die Aushebung des neuen Bettes vollendet. Ein alter, fester, hufeisenförmiger Damm, der Roller, trennte den Beginn des Durchstiches von dem gegen links bogenförmig abgetrennten Hauptstrome der großen Donau. Beiläufig 2,7 km unterhalb des Roller hatte man einen schmalen Streifen Landes quer über den Durchstich zurückgelassen, um den Verkehr mit dem linken Donauufer zu ermöglichen.
Das neue Bett teilte sich daher in ein oberes Becken von 2,7 km und ein unteres Becken von nicht ganz 4 km Länge... Am 15. April sollte die Öffnung des Roller und die Einströmung der Donau in das neue Bett gewagt werden. Am 12. veranlasste ich ein vertrauliches Schreiben an alle technischen Beamten, das auf die Schwierigkeiten hinwies.. . Ein Zufall wollte, dass mir die verantwortungsvolle Ehre zufiel, am Roller den entscheidenden Befehl zum Einlassen des Stromes zu geben. Dies geschah am 15. April um 3 Uhr 30 nach mittags.
Außer den Beteiligten waren nicht viele Personen anwesend. Der Roller, einst der trennende Kopf zwischen der großen Donau und dem Kaiserwasser, bildete einen stromaufwärts gekrümmten Haken. Man ließ ihn an der rechten Seite des Hakens öffnen, und nun stürzte der gewaltige Strom schäumend herein. Zur Linken riss er immer größere Stücke des Roller mit sich, aber während er so die Breite der Pforte vergrößerte, füllte er das tiefer liegende Becken nicht, sondern seine Gewalt war so groß, dass er anfangs auch das vorhandene Grundwasser mit sich talwärts fortriss.
Staunend erblickten wir einige Minuten an der linken Seite eine bedeutende Strecke des Bettes trocken vor uns, ein merkwürdiges Beispiel für die so oft unterschätzte Kohäsion des Wassers... Die dahinfegende riesige Wassermenge spülte bald über den Landstreifen an der Reichsbrückenlinie. Um 7.20 Uhr abends öffnete man ihn, so dass nunmehr ein einziges zusammenhängendes Bett vorhanden war. Dabei hatte jedoch der einbrechende Strom das rechtsseitige Ufer unterhalb des Roller auf eine Länge von 240 Meter und eine mittlere Tiefe von 30 Meter beschädigt. Weiterer Nachbruch drohte. Unterdessen hatte sich das neue Bett mehr gefüllt; die Einströmung hatte viel vom Gefälle verloren; der Rest des Roller wurde nicht mehr abgerissen.«
Noch in der Nacht wurde ein vorsorglich vorbereitetes Schiff, das mit Steinen beladen war, durch den schmalen Durchstich im Roller geführt und zur Abschirmung des beschädigten Ufers versenkt. Am folgenden Tag wurde das Ufer mit Steinplatten gesichert.
Beendigung der Bauarbeiten
Am 18. April passierte das Dampfschiff »Neue Donau« mit einem angehängten Schleppschiff problemlos das neue Strombett, am 30. Mai wurde die Schifffahrt vom Kaiser offiziell eröffnet.
Die Ufergestaltung, der Bau des Marchfelddammes, die Zuschüttung des Kaiserwassers und die Gestaltung der Alten Donau dauerten noch bis 1884.
Am Beginn des Donaukanals, bei Nußdorf, wurde 1873 ein »Sperrschiff« montiert, das Eduard Sueß mit einem schwimmenden Balken verglich, der nach Bedarf zur Brechung von Hochwasser quergestellt und notfalls auch versenkt werden konnte. Erst 1894-1 899 wurde die Wehranlage nach Plänen von Otto Wagner gebaut.
Nachteile der großen Donauregulierung
Die Donauregulierung stellte ingenieurtechnisch eine gewaltige Leistung dar. Im Laufe der Zeit stellten sich allerdings drei große Nachteile heraus:
Kein vollkommener Hochwasserschutz
1. Der angestrebte absolute Hochwasserschutz für Wien wurde nicht erreicht. Strombett und Überschwemmungsgebiet können nur eine Durchflussmenge von etwa 10 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aufnehmen, bei stärkerem Zufluss tritt der Strom zuerst über die rechte Uferkante, bei mehr als 12 000 Kubikmeter pro Sekunde auch über den Marchfelddamm. Die letzte Überschwemmung der rechten Uferkante, bei der auch der Mexikoplatz unter Wasser stand und die Keller der Häuser überschwemmt wurden, geschah im Jahre 1954. Das größte jemals registrierte Hochwasser brachte im Jahre 1521, wie man anhand der erhalten gebliebenen Hochwassermarken errechnen konnte, 14 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Wien. Eine solche Katastrophe würde Wien auch heute noch furchtbar treffen, Schäden im Ausmaß von vielen Milliarden Schilling, nicht zuletzt durch den zu befürchtenden Ausfall der Gas- und E-Werke, wären zu erwarten. Die Leopoldstadt wäre sicher besonders betroffen.
Abtrennung des linken Donauufers
2. Das breite Überschwemmungsgebiet (oder Inundationsgebiet, wie es ursprünglich genannt wurde) schob sich wie eine Barriere vor die Stadtteile am linken Donauufer, trennte sie vom Strom und vom übrigen Wien und behinderte ihre Entwicklung. Das führte dazu, dass sich Wien vor allem nach Westen und Süden entwickelte, in den Wienerwald hinein.
Untergang der Aulandschaft in der Lobau
3. Die natürliche Bewässerung der Lobau wurde durch die Anlegung des Überschwemmungsgebietes und des Marchfelddammes sowie die Abdämmung des Floridsdorfer Armes gestört. Die Folge davon war der einsetzende Untergang der ursprünglichen Aulandschaft und die beginnende Versteppung der Lobau.
Aus „Eine Insel mitten in der Stadt“ von Prof. Christine Klusacek und Prof. Kurt Stimmer; erschienen 1978 im Verlag Kurt Mohl.
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